„Ohne das Medikament wäre er gestorben“

40.000 Euro für eine Therapie, die einem damals 14jährigen Patienten im Jahr 2011 das Leben gerettet hat. Die zuständige Krankenkasse hat die Kosten dafür nicht übernommen, das Carl-Thiem-Klinikum hat dagegen geklagt. Vor dem Cottbuser Sozialgericht Cottbus ist das CTK jetzt gescheitert. Der Fall ist kompliziert und könnte sich zu einer Grundsatzentscheidung entwickeln. Doch von Anfang an: Im Jahr 2011 kommt ein 14 Jahre alter Junge mit Schmerzen in den Beinen, später auch in den oberen Gliedmaßen, ins Klinikum. Er stürzt zudem mehrfach ohne Grund, kann allein nicht aufstehen. Der Junge klagt auch über Schluckbeschwerden.

Nach einer komplexen Diagnostik kommen die Mediziner der CTK-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin zu der Diagnose: Juvenile Dermatomyositis. Eine sehr seltene rheumatische Erkrankung. „Damals erfolgte zunächst die Überprüfung aller Muskelgruppen. Der Patient war dramatisch in seiner Beweglichkeit und Mobilität eingeschränkt. Er konnte sich z.B. nicht aus der Rückenlage aufsetzen oder sich aus der Bauchlage in den Vierfüßlerstand bewegen“, so die Ärztliche Direktorin des Carl-Thiem-Klinikums, Dr. Cornelia Schmidt. Der Patient wird entsprechend der Leitlinien für diese Krankheit behandelt, u.a. mit Kortison und Antirheumatika. Während zunächst eine geringfügige Besserung eintritt, verschlimmern sich die Beschwerden sehr schnell wieder. Der Junge klagt nun auch vermehrt über Schmerzen beim Schlucken. Nach intensiver Beratung – auch mit den Eltern – entschließen sich die behandelnden Mediziner zu einer Immuntherapie mit dem Medikament Privigen. Auch diese Therapie erfolgte gemäß der Leitlinien für dieses Krankheitsbild, nachdem die vorher eingeleiteten Maßnahmen nicht erfolgreich waren. Allerdings hat das Medikament in Europa keine Zulassung zur Behandlung von Kindern.

Das Resultat: Es kommt zu einer Stabilisierung des Allgemeinzustandes des Jungen, die Muskelkraft bessert sich. Heute -12 Jahre später – kann er ein relativ gesundes, normales Leben führen. Er hat eine Ausbildung absolviert, steht mitten im Leben. „Hätten die behandelnden Ärzte damals diese Therapie nicht gewählt, wäre der Patient gestorben“, ist sich Dr. Cornelia Schmidt sicher. „Die Behandlung war alternativlos.“ Die Krankenkasse hat das damals anders gesehen und die rund 40.000 Euro Behandlungskosten abgelehnt – wohlgemerkt für sämtliche Behandlungs- und Aufenthaltskosten des Patienten. Die Begründung: Bei Privigen handelt es sich um einen sogenannten „Off-Label“-Einsatz. Das heißt, dass ein Arzt ein Medikament außerhalb des durch die Arzneimittelbehörde zugelassenen Gebrauchs verordnet und therapeutisch einsetzt. „Off-Label-Use ist gerade bei der Behandlung von seltenen Erkrankungen bei Kindern medizinischer Alltag. Denn z.B. aufgrund der hohen Kosten für notwendige klinische Studien kommt es kaum zu Zulassungsverfahren für diese doch sehr seltenen Einsatzgebiete“, bekräftigt die Ärztliche Direktorin. Auch ein Sachverständigengutachten hat die Therapie mit Privigen bestätigt. Dennoch lehnt die Krankenkasse die Kostenübernahme nach wie vor ab, nach nunmehr 12 Jahren bestätigt durch das Sozialgericht Cottbus. Es stellt hierbei insbesondere auf die fehlende Datenlage zur Wirksamkeit von Privigen ab. In der Urteilsbegründung heißt es: „Es fehlt an Studien mit ausreichender Zahl aussagekräftiger Probanden.“

Die Mutter des Patienten ist erschüttert. „Jedes Elternteil kann es nachvollziehen, was für eine belastende Situation die Erkrankung eines Kindes ist, noch dazu eine so seltene. Wenn dein Kind leidet und die Therapie bringt keine Linderung oder Heilung. Meinem Sohn hat erst Privigen geholfen, er kann heute ein normales Leben führen. Ohne die Entscheidung für dieses Medikament hätten wir wohl für immer Abschied von ihm nehmen müssen“, so die Mutter, die aus Rücksicht auf die Privatsphäre Ihres Sohnes hier anonym bleiben möchte.

Dr. Götz Brodermann, CTK-Geschäftsführer, sieht darüber hinaus noch eine Gefahr: „Ich befürchte, dass diese Entscheidung Menschenleben kosten könnte. Mediziner könnten sich gegen eine erfolgversprechende Therapie entscheiden – aus Angst, diese nicht erstattet zu bekommen. Auf der anderen Seite sind sie haftbar für die Folgen einer Nichtbehandlung. Sprich, wenn unsere Ärzte damals Privigen nicht verordnet hätten und der junge Patient wäre verstorben, hätten die Eltern das Klinikum auf Schadensersatz verklagen können, so unfassbar das auch klingt.“ Das Klinikum will eine eindeutige Handlungsgrundlage für alle Mediziner erreichen. „Deswegen haben wir uns auch dazu entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen und gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vorzugehen“, so der CTK-Chef.

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