Beethoven kompakt, „Riesengeige“ und „ein paar Entr´actes …“

Marko Letonja und die Bremer Philharmoniker gehen Ende April auf Tournee durch Südkorea. Vorab darf aber das Bremer Publikum die dafür ausgewählten Werke genießen, denn der Generalmusikdirektor präsentiert mit dem Doppelkonzert für Violine und Violoncello und der Symphonie Nr. 4 von Johannes Brahms beim 9. Philharmonischen Konzert Auszüge des Tourneeprogramms, stellt die beiden südkoreanischen Solisten Ji Young Lim und Taeguk Mun vor und bietet zudem die Gelegenheit, die Musik der südkoreanischen Komponisten Unsuk Chin kennenzulernen.

Beethoven kompakt – so könnte man Unsuk Chins „subito con forza“ beschreiben. Entstanden ist die kleine Hommage anlässlich des 250. Geburtsstages von Ludwig van Beethoven. Was sie an Beethovens Musik besonders anspricht, „sind die enormen Kontraste: von Vulkanausbrüchen bis hin zu extremer Gelassenheit“, so die Komponistin. Sie habe versucht, eines der wichtigsten Merkmale der Musik Beethovens zu paraphrasieren: das rastlose, unermüdliche Feuer und die Energie, die seine Musik mit scheinbar unaufhaltsamer Kraft vorantreibt. Herausgekommen ist dabei ein faszinierender Parforceritt durch das Werk des Bonner Meisters.

„Mache Dich auf einen kleinen Schreck gefasst. Ich konnte nämlich derzeit den Einfällen zu einem Konzert für Violine und Violoncello nicht widerstehen, so sehr ich es mir auch immer wieder auszureden versuchte“, schrieb Johannes Brahms an den Geiger Joseph Joachim. Nach seiner vierten und letzten Symphonie ist es das letzte große Orchesterwerk des Komponisten und zugleich laut Clara Schumann „ein Werk der Versöhnung“, denn endlich hätten die beiden zerstrittenen Musiker Brahms und Joachim wieder Kontakt. Brahms vereint in seiner Komposition zwei Solisten zu einem einzigen Streichinstrument mit einem enormen Tonumfang von fünf Oktaven und sprach selbst von einer „Riesengeige“, die hier konzertiere. Dass es immer noch das am wenigsten aufgeführte Brahms-Konzerte ist, mag an dem ganz praktischen Problem liegen, zwei für dieses besondere Werk kompatible Solisten zu finden. Den Bremer Philharmonikern ist es jedoch gelungen: Mit Ji Young Lim und Taeguk Mun haben sie nicht nur zwei ausgezeichnete, sondern auch hervorragend harmonierende Musiker ausgewählt – problem solved!

Die zweite Konzerthälfte gehört Brahms vierter und letzter Symphonie. Es handele sich dabei um „ein paar Entr´actes … was man so zusammen gewöhnlich eine Symphonie nennt“, so Brahms in einem Brief an den Dirigenten Hans von Bülow. Hanseatisches Understatement, denn de facto sei die Vierte ein „Riesenwerk, von einer Größe der Konzeption und Erfindung, Genialität in der Formbehandlung“, so zumindest kein geringerer als Richard Strauss, der als Kapellmeister bei der Uraufführung mitspielte. 

Das Programm

Unsuk Chin (*1961)

Subito con forza für Orchester

Uraufführung am 24. September 2020 in Amsterdam

Johannes Brahms (1833­–1897)

Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-Moll op. 102 

– Allegro

– Andante

– Vivace non troppo

Uraufführung am 18. Oktober 1887 in Köln

Johannes Brahms (1833-1897)

Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98

– Allegro non troppo

– Andante moderato

– Allegro giocoso – Poco meno presto – Tempo I

– Allegro energico e passionato – Più Allegro

Uraufführung am 25. Oktober 1885 in Meiningen

Marko Letonja, Dirigat

Ji Young Lim, Violine

Taeguk Mun, Violoncello

Informationen zu Künstlern und Programm / Auszüge aus dem Programmheft

Marko Letonja

Dirigat

Seit Beginn der Spielzeit 2018/2019 ist Marko Letonja Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Bremer Philharmoniker. Marko Letonja ist zudem Artistic Director des Tasmanian Symphonie Orchestra, an dem er zuvor von 2011 bis 2018 Chefdirigent war. Unter seiner Amtszeit gelang es ihm, das Tasmanian Orchestra auf ein neues künstlerisches Niveau zu bringen. So gewann er 2017 für die konzertante Aufführung von Wagners Tristan und Isolde mit Nina Stemme und Stuart Skelton den Helpman Award für das beste Konzert eines Symphonieorchesters. Von 2012 bis 2021 war er Chefdirigent des Orchèstre Philharmonique de Strasbourg. Als Gastdirigent arbeitet Letonja mit den Wiener Symphonikern, den Münchnern Philharmonikern, dem Orchestre de la Suisse Romande, den Hamburger Symphonikern, dem Orchester Filamonica della Scala in Mailand und dem Berliner Radio-Symphonieorchester zusammen sowie mit dem Seoul Philharmonic, dem Mozarteum Salzburg, dem Stockholmer Opernorchester, dem Staatsorchester Stuttgart und dem Orchester Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi. Mit einem vielfältigen Repertoire gastiert er des Weiteren u. a. an den Opernhäusern in Wien, Genf, Rom, Dresden, Berlin, Straßburg, München und Lissabon. Zudem ist er gern gesehener Gast in Australien und Neuseeland und wurde 2008 zum Principal Guest Conductor des Orchestra Victoria Melbourne ernannt. Letonja begann sein Studium als Pianist und Dirigent an der Musikakademie von Ljubljana und schloss es 1989 an der Akademie für Musik und Theater in Wien ab. Schon zwei Jahre später wurde er Musikdirektor der Slowenischen Philharmonie in Ljubljana, die er bis zu seiner Ernennung zum Chefdirigenten und Musikdirektor des Sinfonieorchesters und des Theaters Basel leitete. In dieser Zeit begann auch seine internationale Laufbahn als Konzertdirigent.

Ji Young Lim

Violine

Die Geigerin Ji Young Lim ist zu einem Star geworden, seit sie 2015 den ersten Preis des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs gewonnen hat. Im Jahr 2014 gewann sie die Bronzemedaille beim Internationalen Violinwettbewerb von Indianapolis (2014) und erhielt den Sonderpreis für die beste Mozart-Sonate. Schon zuvor wurden ihre brillanten Talente und ihre fruchtbare Musikalität bei vielen nationalen und internationalen Wettbewerben und Festivals anerkannt. Ji Young Lim begann im Alter von nur 7 Jahren mit dem Geigenspiel. Sie studierte am Korea National Institute for the Gifted in Arts und setzte ihr Studium bei Nam Yun Kim an der Korea National University of Art  und an der Kronberg Academy in Deutschland fort. Sie konzertierte mit großen Orchestern wie dem Orchestra Philharmonique Royal de Liege, den Brüsseler Philharmonikern, dem Royal Philharmonic Orchestra, dem Münchner Kammerorchester, dem L‘ Orchestra National du Capitole de Toulouse, dem Nagoya Philharmonic Orchestra, dem KBS Symphony Orchestra und anderen. Außerdem wurde sie zu vielen berühmten Festivals und Konzertreihen eingeladen, wie dem Hongkong Arts Festival, dem Copenhagen Summer Festival, dem Gstaad Menuhin Festival, dem Great Mountains Music Festival usw. 2015 spielte sie die Stradivari "Huggins, 1708", die eine vierjährige Sonderleihgabe für den Gewinner des Queen Elisabeth Concours ist, und sie wurde als Empfängerin für die Stradivari "Sasserno" ausgewählt.

Taeguk Mun

Violoncello

Taeguk Mun studierte an der Pre-College Division der Juilliard School in New York bei Minhye Clara Kim, bevor er seinen Bachelor-Abschluss am New England Conservatory in Boston machte, wo er von Laurence Lesser unterrichtet wurde. Derzeit perfektioniert er seine Kunst an der University of Southern California unter der Leitung von Marcy Rosen und Ralph Kirshbaum. Er hat den ersten Preis bei verschiedenen Wettbewerben gewonnen, darunter der Pablo Casals Wettbewerb 2014, der Andre Navarra International Cello Competition und der National Sung-Jung Competition in Korea. Außerdem ist er Preisträger des Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs und des Irving M. Klein International String Competition. Taeguk Mun ist mit Orchestern wie der Akademischen Philharmonie St. Petersburg, dem Ungarischen Radiosinfonieorchester, dem Orchestre du Capitole de Toulouse, dem Suwon Philharmonic Orchestra und dem Korean Symphony Orchestra aufgetreten. Sein erstes Album wurde 2019 beim Label Warner Classics veröffentlicht. Taeguk Mun erhielt 2016 den Janos Starker Award und war 2017 Artist in Residence in der Kumho Art Hall.

Unsuk Chin (*1961)

Subito con forza für Orchester

„Plötzlich, mit Kraft“ so lautet die Übersetzung des Titels von Unsuk Chins ebenso kurzem wie energiegeladenen Werk. Beethovens ständige Suche nach neuen Richtungen in seiner Kunst und das Schaffen neuer Herausforderungen und neuer Lösungen in jedem seiner bedeutenden Werke habe sie beeinflusst, sagt Chin. Die italienische Ausdrucksbezeichnung „subito, con forza“ impliziert einen plötzlichen Wechsel von einer Textur zur anderen, wie er auch in Beethovens Musik häufig vorkommt. Das Werk beginnt mit donnernden Oktaven – bekannt aus Beethovens Coriolan-Ouvertüre: ein plötzlicher Ausbruch, der in sanfte Akkorde übergeht, jedoch schnell wieder in wuseliges Chaos mündet. Ein romantisierendes Klaviersolo wird jäh unterbrochen und gipfelt in einer Reihe lauter Tutti-Kaskaden. Plötzlich ist man schon mitten in den letzten Zuckungen des Werkes, einem Rückfall in weiche Streicherakkorde, die sich in einem c-Moll-Dreiklang auflösen.

Die in Seoul, Südkorea, geborene Unsuk Chin studierte an der Nationalen Universität von Seoul Komposition, setzte später ihr Studium in Deutschland fort, wo sie mit György Ligeti arbeitete. Ligetis Beispiel vermittelte Chin den Einsatz einer Vielzahl von Musikstilen, um ihre Ausdrucksziele zu erreichen. Die Komponistin arbeitete auch intensiv im Studio für elektronische Musik an der Technischen Universität Berlin, eine Erfahrung, die ihren Umgang mit akustischen Instrumenten weiterhin beeinflusst. Für ihr Violinkonzert wurde sie 2004 mit dem renommierten Grawemeyer Award ausgezeichnet.

Johannes Brahms (1833­–1897)

Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-Moll op. 102

Obwohl Brahms nach der Vollendung seiner 4. Symphonie im Jahr 1885 noch zwölf Jahre lebte, schuf er nur noch ein weiteres Orchesterwerk – allerdings keine Symphonie, sondern ein Doppelkonzert, bei dem zum ersten Mal Violine und Cello in neuer Form vereint waren. Es vereint Elemente eines barocken Concerto grosso, dessen Solistengruppe (Concertino) dem Orchester gegenübersteht, mit der klassischen Konzertform. Vorbilder waren darüber hinaus Mozart, der Geigen und Bratschen zu Solisten in einer Sinfonia Concertante gemacht, und Beethoven, der in seinem Tripelkonzert Klavier, Geige und Cello zusammengeführt hatte. Das Werk mutet gewissermaßen wie intime Kammermusik an, die aber zu orchestraler Größe gewachsen ist. Nach einer kurzen orchestralen Geste beginnt das Konzert mit einer Kadenz – zunächst für das Cello allein. Unmittelbar danach werfen die Holzbläser das Seitenthema ein, das nun wiederum der Violine das Stichwort liefert. Aus der Violinkadenz wird rasch eine Duo-Fantasie für die beiden Solisten, die in immer wildere Passagen mündet.. Das Cello zieht die Violine immer wieder in düster gefärbte, auch erregte Dialoge hinein, in der Geige andererseits behauptet das liebliche Seitenthema sein Recht. Brahms hat dies auch in den Klangfarben des Orchesters wunderbar differenziert ausgemalt. Der langsame Satz wird vom Ruf der Hörner und Holzbläser eröffnet und bietet im Verlauf mit seinen schumannesken Wendungen beiden Solisten reichlich Gelegenheit zu weit ausholenden, innigen Melodiebögen. Ein choralartiges Thema ruft einen bewegteren, arabesken Dialog der Soloinstrumente hervor, der sich über zarten Klarinetten- und Flötenstimmen abspielt und eine dezente ungarische Färbung annimmt. Das Finale ist voller Anspielungen auf den Zigeunerstil. Der rasch lebhafter werdende Dialog der Solisten wird von wilden, ungarisch anmutenden Einwürfen des Orchesters begleitet. Ein zweites Thema wird wiederum vom Cello intoniert, ein drittes, wuchtiges Triolenthema lenkt nach Ungarn zurück. Figurationen im Stil ungarischer Zigeunermusik lassen nun auch einen Zug ins Virtuose erkennen, den Brahms in den ersten Sätzen eher vermied. Nur am Ende gibt es zumindest ansatzweise einen virtuosen Schlagabtausch, ansonsten ist das brahmssche Doppelkonzert das Musterbeispiel eines einmütigen Dialogs zwischen zwei Soloinstrumenten.

Johannes Brahms (1833­–1897)

Symphonie Nr. 4 e-Moll op.98

Brahms selbst dirigierte die Uraufführung seiner vierten Symphonie (im Oktober 1885) mit der Meininger Hofkapelle, wo das Publikum begeistert war. Als das Werk einige Monate später in Wien aufgeführt wurde, war man allerdings nicht so aufgeschlossen. Komponistenkollege Hugo Wolf etwa beklagte sich, Brahms komponiere „ohne Ideen“. Doch mit der Vierten schuf Brahms ein monumentales Werk, dessen erster Satz aus dem einfachsten Material wächst, dem einfachen steigenden und fallenden Intervall der Terz, aus dem er lange melodische Linien entwickelt. Was die Musik so fesselnd macht, ist die Art und Weise, wie die längeren Linien mit großer Eindringlichkeit und lyrischer Schönheit auf- und abschwingen, während gleichzeitig kontrapunktische Komplexitäten der Textur Substanz und Reichtum verleihen. Nach dem kraftvollen Schluss des ersten Satzes leitet Brahms den zweiten Satz mit einem eindringlichen Signal zweier Hörner ein, gefolgt von einer Passage, in der alle Streicher zarte Pizzicato-Akkorde spielen, die eine getragene Melodie in den Bläsern unterstützen. Der dritte Satz strotzt vor guter Laune und großer Energie. Der Schlusssatz der Vierten Symphonie ist eine Passacaglia, deren Bezug auf die Musik von Johann Sebastian Bach unverkennbar ist: Das meistens im Bass auftauchende, aber auch alle Stimmen durchwandernde Thema stammt aus Bachs Kantate Nr. 150 stammt (Nach dir, Herr, verlanget mich). Auf den ausgedehnten Eröffnungsteil folgen entspanntere Passagen mit lyrischem, sehnsuchtsvollem Charakter, in denen eine Soloflöte eine herausragende Rolle spielt. Die abschließenden Takte der Sinfonie strotzen nur so vor schneidiger Intensität. Ausnahmsweise gibt es keine Coda.

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