Neue Ausstellung der umstrittenen Sammlung Emil Bührle im Kunsthaus Zürich

Ab 3. November 2023 zeigt das Kunsthaus Zürich die Sammlung Bührle unter dem Titel: «Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt». Im Zentrum stehen verschiedene – auch widersprüchliche – Perspektiven auf den historischen Kontext, in dem der Waffenproduzent und Mäzen Emil G. Bührle seine Sammlung aufbaute: Hervorgehoben wird die Frage, wie ein differenzierter Umgang mit Geschichte in der unmittelbaren Gegenwart gelingen kann. Videostatements, die unterschiedliche Positionen zur Sammlung Bührle aufzeigen, und Biografien von früheren Eigentümerinnen und Eigentümern einzelner Werke spielen eine wichtige Rolle in dieser neuen Ausstellung, die in mehreren Phasen stattfindet.  

Seit Herbst 2021 ist die Sammlung Bührle als Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich zu sehen. Sie enthält Werke von grossem kunsthistorischen Wert. Gleichzeitig ist sie aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte von einer kontroversen Debatte begleitet. Denn Bührles Vermögen stammt zu einem wesentlichen Teil aus Waffenverkäufen während der NS-Zeit. Bestimmte Werke in der Sammlung wurden von den Nationalsozialisten von jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümern beschlagnahmt und mussten als NS-Raubkunst nach dem Zweiten Weltkrieg restituiert werden. Bestimmte Werke wurden von jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümern ausserhalb des NS-Machtbereichs wie den USA, der Schweiz und dem nicht besetzten Teil Frankreichs zwischen 1933 und 1945 verkauft, um ihre Flucht und den Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie stehen heute zur Diskussion. 

DAS KUNSTHAUS STELLT FRAGEN UND BEZIEHT POSITION 

Ann Demeester, Direktorin des Kunsthaus Zürich: «Wir wollen den komplexen und konfliktreichen Kontext der Sammlung Bührle beleuchten. Es ist eine Sammlung von hochkarätiger Kunst, aber sie ist umstritten. Die Gemälde selbst haben keinen Anteil an dem unfassbaren Unrecht, das in der Zeit des Nationalsozialismus ausgeübt worden ist. Sie legen aber Zeugnis davon ab und sind Anlass, den Opfern des NS-Terrors zu gedenken, ihre Schicksale in Erinnerung zu rufen und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu reflektieren.» 

Das Kunsthaus hat von den Zuwendungen Emil Bührles und seiner posthum gegründeten Stiftung profitiert und setzt sich sehr konkret mit seiner gesellschaftlichen Rolle als Museum auseinander. Ann Demeester betont: «Wir halten es für wichtig, gemeinsam einen neuen Umgang mit der Sammlung Bührle zu entwickeln. Kritisches Hinterfragen soll die Präsentation einzigartiger Meisterwerke und ihre Geschichte mit dem Heute verbinden.»
In der neuen Ausstellung sind Kunst, Geschichte und Kontext durchgängig miteinander verknüpft. Möglich wurde dies, nachdem die Stiftung Sammlung E. G. Bührle als Eigentümerin dem Kunsthaus in einer neuen Vereinbarung im Jahr 2022 die kuratorische Leitung der privaten Dauerleihgabe zugestanden hat. Die damals designierte Direktion entschied daraufhin, die Präsentationsform neu zu denken – gemeinsam mit dem Team und im Dialog mit kritischen externen Stimmen. 

BEIRAT UND INTERDISZIPLINÄRES TEAM ZWISCHEN KONSENS UND DISSENS

Ein interdisziplinäres Team erarbeitete die Ausstellung abteilungsübergreifend. Von November 2022 bis Oktober 2023 wurde das Kunsthaus-Team darüber hinaus durch einen externen Beirat von Expertinnen und Experten begleitet. Nach Unstimmigkeiten über das Gewicht, welches die individuellen Schicksale früherer Eigentümerinnen und Eigentümer, die Opfer des NS-Unrechtsregimes geworden waren, in der Neupräsentation haben sollten, trat der Beirat Mitte Oktober zurück. Das Kunsthaus bedauert dies: «Mit Herzblut, wachem Blick und konstruktiver Kritik haben die sieben Mitglieder des Beirats das Konzept und die Ausstellung in entscheidenden Punkten mitgeprägt», so Ann Demeester. «Unsere zwölfmonatige Zusammenarbeit war von grossem gegenseitigen Respekt getragen. Aber am Ende stimmten wir darin überein, dass wir nicht in allen Aspekten der konkreten Umsetzung übereinstimmen.» Der Dissens ist Teil dieser bewusst vielstimmig gestalteten Ausstellung. Das Kunsthaus geht davon aus, dass die Präsentation weiter wertvolle Diskussionen auslösen wird, wie sie es bereits in der Vorbereitungsphase zwischen dem Kernteam und dem Beirat getan hat.   

POLYPHONIE UND DIALOG BESTIMMEN DEN PROZESS

Was teilen uns Betroffene mit? Was fühlen unsere Besucherinnen und Besucher? Die Ausstellung beginnt in der Vergangenheit und endet mit Fragen an die Zukunft. In Video- und Audiobeiträgen äussern sich mehr als 20 Persönlichkeiten, darunter Vera Rottenberg (ehemalige Bundesrichterin), Jacques Picard (Historiker, ehemaliges Mitglied der Bergier-Kommission), Gina Fischli (bildende Künstlerin), Felicitas Heimann-Jelinek (Judaistin) und Hanspeter Frey (ehemaliger Mitarbeiter der Firma Bührle). Ein Chor an Stimmen, Erfahrungen und Meinungen erwartet die Besuchenden. Und welche Antworten gibt das Publikum? Die digitale Besucherumfrage und die im Zukunftsraum versammelten Meinungen ergeben ein wichtiges Stimmungsbild. Jeden Mittwoch heisst es: «Das Kunsthaus hört zu». Von 16.15 bis 18.00 Uhr steht ein Mitglied des Kernteams zum persönlichen Gespräch zur Verfügung. Ann Demeester: «Die verschiedenen Möglichkeiten zur Teilnahme sind eine Erfahrung sowohl für die Besuchenden als auch für uns als Museum. Wir lernen, woher wir kommen und wohin unsere gemeinsame Reise mit dem Publikum gehen könnte.»

PERFORMANCE, GESPRÄCHE, VERÖFFENTLICHUNGEN UND MEHR IN PHASE ZWEI UND DREI

Die Ausstellung ist in drei Phasen aufgeteilt und dauert mindestens ein Jahr. Diese aktuelle erste Phase der Präsentation wird in zwei weiteren Phasen vertieft. Im Frühjahr 2024 u.a. mit einem Rahmenprogramm: Eine Performance der Künstlerin Alexis Blake über Trauer, Klagelieder und Verlust, eine Podiumsdiskussion über die Frage «Braucht Kunst Kontext?» und ein Gespräch mit der Künstlerin Miriam Cahn. Nach der Veröffentlichung des für den Sommer 2024 angekündigten Schlussberichts des Historikers Raphael Gross, der aktuell die Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle überprüft, folgt eine dritte Phase. Die Ausstellung ist also nicht nur eine Momentaufnahme, sondern ein Schritt in einem dialogorientierten, andauernden Prozess. 

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