Lieferkettengesetz: Mittelstand fordert Regeln für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten

Anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte spricht sich UnternehmensGrün, der Bundesverband der Grünen Wirtschaft, klar für eine gesetzliche Regelung der unternehmerischen Verantwortung für die gesamte Lieferkette aus. Unternehmen sind für ihre Lieferketten verantwortlich und müssen auch dafür haftbar gemacht werden. Jüngste Beispiele von deutschen Unternehmen (Tönnies, VW-Dieselskandal, Wirecard) zeigen, wie die gesellschaftlichen Kosten durch unethisches Wirtschaften in die Höhe getrieben werden – mit gravierenden negativen Auswirkungen auf das Gütemerkmal „Made in Germany“.

„Wenn wir nicht aufpassen, wird bald Corporate Irresponsibility made in Germany zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft“, bringt Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, ihre Sorge auf den Punkt. „Dieselskandal, Tönnies-Skandal… es ist unfassbar: Die Industrieverbände sind sich nicht zu schade, trotzdem vor der verbindlichen Regelung von Unternehmensverantwortung zu warnen. Vor Verantwortung zu warnen, dass muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“ BDI, BDA, ZDH und DIHK warnen tatsächlich vor der Einführung eines Lieferkettengesetzes, mit dem deutschen Unternehmen mehr Verantwortung und teilweise auch Haftung für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der gesamten Lieferkette übernehmen sollen.

„Der Brandbrief der Industrielobby und der anhaltende Widerstand inklusive unseres Wirtschaftsministers Altmaier sind ein Schlag ins Gesicht all´ der Unternehmen, die bereits heute Risiko-Assessment in ihren Lieferketten voranbringen und nun endlich ein level playing field einfordern“, so Reuter weiter. Nicht nur nachhaltige Pionierunternehmen, sondern auch Branchenriesen wie Tchibo, Ritter Sport, Nestlé Deutschland und Hapag Lloyd hatten ihre Forderung nach einer verbindlichen Regelung bekräftigt. Es geht auch darum, Chancengleichheit herzustellen für die Unternehmen, die heute schon ihre Wertschöpfungsketten freiwillig absichern und kontrollieren.

Zynische Missachtung durch Industrielobbyisten

„Wenn Dercks für den DIHK betont, dass aufgrund des Exporteinbruchs „alle zusätzlichen Belastungen Gift seien“, dann zeigt es die Missachtung der Arbeitsbedingungen, unter denen vielfach (Vor-)Produkte für die deutschen Unternehmen hergestellt werden“ ist Reuter entsetzt. „Viele der Arbeitnehmer_innen auf konventionellen Plantagen und Rosenfarmen sind Gift im ganz wortwörtlichen Sinne ausgesetzt – wie können die Lobbyisten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages nur so zynisch oder realitätsfern sein?“ fragt Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün.

Positionspapier für wirksames Lieferkettengesetz vorgestellt

UnternehmensGrün-Vorstand und Rechtsanwalt Klaus Stähle stellte heute das aktuelle Positionspapier des Verbands vor, der vor allem mittelständische Unternehmen repräsentiert: UnternehmensGrün begrüße die politischen Anstrengungen für ein europäisches Lieferkettengesetz und unterstütze die Bestrebungen, in Deutschland ein ambitioniertes Lieferkettengesetz zu verabschieden. „Die Coronakrise hat erneut die Verletzlichkeit der Schwächsten in der Lieferkette gezeigt – und die Notwendigkeit, Lieferbeziehungen verantwortungsbewusst und resilient zu gestalteten“, so Stähle.

Eckpunktepapier greift zu kurz

Im Eckpunktepapier von Minister Müller und Minister Heil heißt es, dass in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmer_innen verpflichtet werden sollen. Rechtsanwalt Stähle dazu: „Dieser Ansatz geht nicht weit genug. Das Lieferkettengesetz sollte für alle Unternehmen gelten, die Menschenrechtsrisiken in ihrer Wertschöpfungskette haben.“ Das Positionspapier von UnternehmensGrün schlägt vor, dass sich die Regelungen an den risikobasierten Ansätzen der größeren Unternehmen orientieren sollten, die diese bereits jetzt umsetzen. Und: Kleinere Unternehmen sollten mehr Zeit für die Umsetzung bekommen und – wenn möglich – eine beratende und/oder finanzielle Unterstützung für die Phase der Implementierung.

Kontrolle und Sanktionen

Im Positionspapier nimmt UnternehmensGrün ebenfalls Stellung zur Frage von Kontrolle und Sanktionen. Vorstand Klaus Stähle: „Schadensersatz und Entschädigungsansprüche sollten von NGOs, Gewerkschaften und auch einzelnen Arbeitnehmer_innen vor deutschen Gerichten eingeklagt werden können. Leitlinie für die Haftung ist die Frage, ob das Unternehmen seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. Dies entscheidet darüber, ob Entschädigung gezahlt werden muss.“
Die Kontrolle der Einhaltung der Sorgfaltspflicht sollte durch eine Behörde vorgenommen werden, wie im bekannt gewordenen Entwurf des Eckpunktepapieres von BMZ und BMAS vorgeschlagen.

Deutschlands Einfluss auf globale Lieferkettenethik

Textilunternehmer und UnternehmensGrün-Vorstand Enrico Rima weiß aus Erfahrung um die Komplexität von Lieferketten. Er stellt fest: „Verantwortung für die Lieferkette übt nicht nur Druck auf Unternehmen in diesen Ländern aus, sondern hat auch eine Bedeutung für deren Gesellschaften. Wir sehen hier die Chance, emanzipatorische Entwicklungen von Frauen, Kleinbauern und anderen Gruppen zu stärken“, so Rima.

Alyssa Jade McDonald-Bärtl, Kakaoproduzentin und UnternehmensGrün-Vorständin, arbeitet ebenfalls intensiv an dem Thema. Aus internationaler Perspektive fordert sie: „Vor allem Deutschland muss jetzt liefern, da es in vielen Rohstoff-Lieferketten mit seinen großen Herstellerunternehmen zu den fünf größten Abnehmerländern weltweit zählt.“ Dadurch nimmt Deutschland einen bedeutenden Einfluss auf die globale Lieferkettenethik.

Sorgfaltspflichten zum Wettbewerbsvorteil machen

„Leider haben heute jene Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil, die ihre Wertschöpfungsketten ohne Rücksicht auf ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten betreiben und keine Verantwortung für Menschen und Umwelt übernehmen“, so McDonald-Bärtl. Diese Wettbewerbsvorteile müssten in Zukunft rechtswidrig sein.

Link zum Positionspapier: https://bit.ly/308ZS6A

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