Eigentlich hätte der Industrieverband wie seit über sechs Jahrzehnten üblich auch dieses neue Jahr mit einer gut besuchten mehrtägigen Winterarbeitstagung im Österreichischen begrüßt. Doch wegen der Corona-Pandemie musste diese Traditionsveranstaltung 2021 ausfallen. „Niemand bedauert das so sehr wie wir“, sagte ISTE-Präsident Peter Röhm in seiner Begrüßung. „Wir leben wegen des Virus in einem ungewöhnlichen Jahr, aber auch wegen der bevorstehenden Wahlen. Trotzdem wollen wir kritisch und optimistisch in die Zukunft blicken. Wir verstehen die derzeitige Situation als Chance, denn auch online können wir den Dialog suchen und pflegen“, so der ISTE-Präsident.
Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger unterstrich, dass dieses besondere Online-Format sowohl das Gespräch mit einzelnen Politikerinnen und Politikern ermögliche als auch die tiefergehende Nachfrage von Seiten der ISTE-Mitgliedsunternehmen: „Wir haben bewusst auf ein Diskussionsformat zwischen den Parteien verzichtet, um auch die leisen Töne hörbar zu machen. Vor allem geht es uns natürlich um den langfristigen und vertrauensvollen, aber auch kritischen Austausch mit der Politik.“
Sandra Detzer machte den Auftakt. „Ich bin gerne beim ISTE“, sagte die Landesvorsitzende der Grünen, die sich im Wahlkreis Ludwigsburg um ein Mandat für den Deutschen Bundestag bewirbt. Die Branche habe sich bislang in der Corona-Pandemie als krisenfest erwiesen; dafür danke sie. Beim Thema „Rohstoffabbau und Naturschutz“ lobte sie beispielgebende Nachnutzungen wie den entstehenden Auenwald bei Iffezheim oder das Beweidungsprojekt in Schelklingen. Allerdings müsse man auch Bedenken von Bürgern bei Erweiterungen und Neuaufschlüssen ernst nehmen. Ihre Partei wolle mehr Bürgerbeteiligung, dies jedoch dürfe nicht zu einer „Diktatur der Minderheit“ werden: „Wir müssen Debatten um Zielkonflikte aber führen und aushalten“, so die Politikerin. Dazu sei es auch nötig, eine Diskussion über den künftigen Bedarf an Rohstoffen zu führen. Sie persönlich glaube nicht, dass man diesen auf kurze Sicht werde verringern können; aber es sei klug, zumindest Perspektiven aufzuzeigen. Dazu seien auch die Novelle des Abfallwirtschaftsgesetzes in Baden-Württemberg sowie die Mantelverordnung im Bund hilfreich, auch wenn man bei der hiesigen Rohstoffstrategie nicht so weit gekommen sei, wie man eigentlich gewünscht habe. Detzer: „Wir müssen die gesellschaftliche Akzeptanz für Rohstoffabbau insgesamt erhöhen!“
Deutliche Kritik an der zu lange dauernden Diskussion um eine Rohstoffstrategie des Landes übte Raimund Haser MdL (CDU), Abgeordneter des Wahlkreises Wangen und Mitglied im Umweltausschuss des Landtages: „Die Rohstoffstrategie des Landes muss unbedingt weitergeschrieben werden, denn in den beiden südlichen deutschen Bundesländern wird in den kommenden Jahrzehnten wirtschaftlich die Musik spielen. Die Bedingungen müssen aber passen. Das kann man nicht hopplahopp erledigen. Wir sind rohstoffreich in Baden-Württemberg, und unser Ziel muss es sein, uns mit mineralischen Rohstoffen dezentral und verbrauchsnah weiterhin selbst zu versorgen“, so Haser mit Blick auf anstehende große Infrastrukturmaßnahmen und den anhaltend hohen Ressourcenbedarf im Land, den Recycling bei weitem nicht decken kann. Wirtschaftsunternehmen bräuchten für ihre Investitionen Verlässlichkeit, vor allem in den Verfahren. Der Abgeordnete forderte kürzere Bearbeitungszeiten und eine Überarbeitung das Verbandsklagerechts: „Wir verrechtlichen die Verfahren zu sehr, weil alles und jeder beklagt wird.“ Zu Verzögerungen trüge auch das Petitionsrecht bei, das inzwischen inflationär angewandt wird. Haser verteidigte die Holzbauinitiative des Landes, die nicht dazu diene, ein gut-und-böse-Spiel zwischen Stein und Holz zu führen. „Wir wissen, dass Holz als Baustoff seine Grenzen hat. Aber es ist nicht verwerflich, mit Blick auf die Holzvermarktung des Landes sowie auf die CO2-Bindung auf dessen Verwertungsmöglichkeiten hinzuweisen. Das ist für uns keine Substitutionsdebatte.“ Eine mutige, nutzflächenschonende Überarbeitung erhofft sich Haser auch in der Ökopunkteverordnung. „Kiesgruben und Steinbrüche sind nach dem Abbau oft wertvolle Flächen für seltene Arten. Bei dem Umgang mit ausgebeuteten Vorkommen muss unserer Meinung nach die beste Lösung Vorrang haben. Hier brauchen wir größtmöglichen Gestaltungsspielraum und müssen auch neuen Ideen Raum geben.“
Martin Rivoir MdL (SPD), Abgeordneter des Wahlkreises Ulm und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, verlangte als Wohnungsbau- und Verkehrspolitiker vom Land, mehr Grundstücke für bezahlbare Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Seine Partei spreche sich für eine landeseigene Wohnbaugesellschaft aus, welche besonders finanzschwachen Kommunen finanziell unter die Arme greifen könne. Rivoir befürwortete ausdrücklich den heimischen Rohstoffabbau unter Beachtung der naturschutzrechtlichen Vorgaben: „Wir müssen die Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig unbedingt erhalten!“ Dazu sei auch die Innovationskraft der Branche von entscheidender Bedeutung. Er lobte insbesondere das Forschungsprojekt zur CO2-neutralen Zementherstellung, welches unter anderem die Produktion von synthetischen Kraftstoffen zum Ziel hat. Rivoir: „Ihre Branche hat die Aufgaben der Zukunft erkannt, und der ISTE macht einen ausgesprochen guten Job!“
Die Sichtweise der Liberalen erläuterte Judith Skudelny MdB (FDP), baden-württembergische Generalsekretärin ihrer Partei und umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Sie bekannte sich zu einer ambitionierten Rohstoffpolitik: „Herz des Zusammenhaltes in Deutschland ist eine funktionierende Wirtschaft“, so Skudelny. Deshalb müsse man den Abbau heimischer Rohstoffe auch ermöglichen und fördern, denn nur er verbinde eine vernünftige Wirtschafts-, Klima- und Umweltpolitik. Radikal und einseitige Konzepte, wie sie in ihren Augen die Grünen vertreten, führten nicht weiter. Skudelny sprach sich dafür aus, die Mantelverordnung in der jetzt vorliegenden Form anzunehmen. Sie tadelte Vorstöße Bayerns, die Ausnahmeregelungen für das Bundesland zum Ziel haben. Sie sehe allerdings noch Chancen, hier zu einer Einigung zu kommen, nicht zuletzt im Rahmen des bevorstehenden Wahlkampfes. Skudelny lobte ausgesprochen die Forschungsvorhaben der Rohstoffindustrie zur Entwicklung von eFuels und reFuels: „Diese synthetischen Kraftstoffe sollten klimapolitisch der Elektromobilität gleichgestellt werden“, sagte sie. Sie sprach sich zudem für eine frühzeitige Bildungspolitik aus, welche auch die Bedeutung und die Gewinnung heimischer Rohstoffe zum Inhalt habe, und lobte in diesem Zusammenhang den GeoKoffer des ISTE.
In zahlreichen Wortmeldungen äußerten sich die Teilnehmer des Winterdialoges kritisch und lobend zu den Äußerungen der Politikerinnen und Politiker. Sie sprachen sich vor allem für personalstärkere und mutigere Verwaltungen aus, traten für verkürzte und verlässliche Genehmigungsverfahren ein und forderten angesichts der aktuellen Diskussion über verstärkten Holzbau die Gleichbehandlung aller zum Hochbau verwendeten Baustoffe.
ISTE-Präsident Röhm und Hauptgeschäftsführer Beißwenger zogen eine zufriedenstellende Bilanz dieses ersten Online-Winterdialoges: „Es ist hier gelungen, Politikerinnen und Politiker klare und deutliche Aussagen zur Rohstoffgewinnung treffen zu lassen und ihnen die Sorgen unserer Mitgliedsunternehmen zu verdeutlichen. Dies alles in kompakter und konzentrierter Form. Dieses Format ist durchaus vielversprechend!“
In Baden-Württemberg gibt es rund 500 Unternehmen, die mineralische Rohstoffe gewinnen, weiterverarbeiten oder gebrauchte mineralische Rohstoffe recyceln. Insgesamt geschieht dies in rund 800 Werken mit 15.000 Beschäftigten. Diese Branche erwirtschaftet einen Gesamtumsatz von rund 5 Milliarden Euro pro Jahr im Land.
Pro Einwohner und Jahr müssen rund 10 Tonnen Material der Erde entnommen werden, damit Häuser, Bürogebäude, Straßen, Bahnlinien und Radwege gebaut werden können. Insgesamt werden so jährlich 100 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe gewonnen und benötigt. Ziemlich genau entspricht das einem Kilogramm mineralische Rohstoffe pro Einwohner und Stunde. Gebrauchte Baustoffe werden durch Baustoffrecycling im Kreislauf gehalten. So wird bereits heute ca. 90 Prozent des Bauschuttes und Straßenaufbruchs recycelt.
Der ISTE wurde bereits sechs Jahre vor dem Land Baden-Württemberg im März 1946 als "Fachverband Steine und Erden Württemberg und Baden e.V." gegründet. Seitdem hat er sich zu einem modernen, dienstleistungsorientierten Wirtschafts- und Arbeitgeberverband entwickelt.
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