"Nachdem die Tariflöhne in den Jahren 2018 und 2019 mit Zuwächsen von 3,0 beziehungsweise 2,9 Prozent relativ kräftig angestiegen waren, standen die Tarifauseinandersetzungen seit Frühjahr 2020 ganz im Zeichen der Corona-Krise", sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. "Im Jahr 2020 lag der Anstieg bei den Tariflöhnen daher nur noch bei 2,0 Prozent. Angesichts eines nach wie vor sehr unsicheren Pandemieverlaufes hat sich dieser rückläufige Trend auch im Jahr 2021 weiter fortgesetzt."
Erstmals seit 10 Jahren fällt die um die Preissteigerung bereinigte reale Tariflohnentwicklung mit einem Minus von 0,2 Prozent sogar leicht negativ aus. Verantwortlich hierfür ist neben der rückläufigen Tariflohnentwicklung auch ein stärkerer Anstieg der Inflationsrate, der vor allem auf höhere internationale Rohstoff- und Energiepreise sowie die Rückkehr zu den normalen Mehrwertsteuersätzen in Deutschland zurückzuführen ist. In den letzten 20 Jahren gab es lediglich drei Jahre, in denen die Tariflöhne langsamer als die Preise stiegen: Hierzu gehören die Jahre 2006 und 2007 sowie zuletzt das Jahr 2011 (siehe auch Abbildung 2 in der pdf-Version).
Die größte Tarifauseinandersetzung im 1. Halbjahr 2021 fand in der Metall- und Elektroindustrie statt, die nicht nur die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu bewältigen hat, sondern sich in weiten Teilen auch mitten in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet. Vor diesem Hintergrund lag der Schwerpunkt der IG Metall in dieser Tarifrunde neben der Einkommensverbesserung vor allem auf der Beschäftigungssicherung. Der Ende März 2021 erzielte Tarifabschluss sieht für das Jahr 2021 für alle Beschäftigten eine Corona-Prämie von 500 Euro vor, während eine dauerhafte Entgelterhöhung in Form eines sogenannten Transformationsgeldes erst im Februar 2022 fällig wird. Letzteres kann auf betrieblicher Ebene auch zur Beschäftigungssicherung verwendet werden, z. B. als Teillohnausgleich für eine temporäre Arbeitszeitverkürzung.
Die Zahlung einer steuerfreien Corona Prämie wurde im 1. Halbjahr 2021 in vielen Tarifverträgen vereinbart. Sie liegt in den meisten Fällen zwischen 300 und 500 Euro. In Einzelfällen, wie z. B. beim Unternehmenstarifvertrag für Volkswagen, kann sie auch 1.000 Euro betragen (siehe auch Tabelle 1 im pdf).
Neben den stark krisenbetroffenen Branchen mit eher verhaltenen Tarifzuwächsen gibt es jedoch auch einige Branchen mit vergleichsweise höheren Tariflohnsteigerungen von 2 und mehr Prozent, wie z. B. die Energiewirtschaft oder das Nahrungsmittelgewerbe. Im größten privaten Krankenhauskonzern Helios steigen die Tariflöhne durchschnittlich nach dem Konzerntarifvertrag im Jahr 2021 um 2,8 Prozent.
Darüber hinaus ist es nach Schultens Analyse erstmals seit langem wieder gelungen, in der Fleischwirtschaft einen branchenspezifischen Mindestlohn von anfänglich 10,80 Euro pro Stunde zu vereinbaren, der nun auf Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Der vereinbarte Fleischmindestlohn liegt damit 12,5 Prozent oberhalb des aktuell gültigen gesetzlichen Mindestlohns von 9,60 Euro, der bislang vielen Beschäftigten in der Branche gezahlt wurde.
Schließlich haben im 1. Halbjahr 2021 auch eine Reihe von Tarifverhandlungen begonnen, die bislang noch zu keinem Tarifergebnis geführt haben. Hierzu gehört insbesondere der Einzelhandel, der nach der Metall- und Elektroindustrie und dem Öffentlichen Dienst größten Tarifbranche in Deutschland. Größere Tarifauseinandersetzungen finden aktuell auch bei den Banken sowie im Bauhauptgewerbe statt. Ab September beginnen außerdem die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst bei den Ländern.
"Die Tarifrunde 2021", so das Fazit von Schulten, "ist noch lange nicht zu Ende. In den kommenden Monaten stehen im Gegenteil noch einige wichtige Tarifauseinandersetzungen an. Hierzu gehören mit dem Einzelhandel, dem Öffentlichen Dienst der Länder und dem Bauhauptgewerbe gerade solche Branchen, in denen die Corona-Pandemie den Beschäftigten ganz besondere Leistungen abverlangt hat. Hierfür erwarten sie nun zurecht auch eine entsprechende materielle Anerkennung. Es ist deshalb gut möglich, dass am Ende des Jahres die
heute vorgelegte Zwischenbilanz für 2021 noch etwas nach oben korrigiert werden kann."
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