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Es ist heiß in Heilbronn. Die Hundstage im Juni machen aus der Industriestadt im Neckartal einen dampfenden, brodelnden Kessel, in dem es nach Suppe riecht. Von Donnerstagabend bis Sonntagmorgen läuft Kemal Arslan durch die Stadt, in der er aufgewachsen ist. Und der er schon einmal den Rücken gekehrt hatte. Der Traum von der Profifußballkarriere beim türkischen Erstligisten Gaziantepspor allerdings ist geplatzt. Kemal hatte sich zu einem Autorennen provozieren lassen. Es kam zu einem bösen Unfall mit seinem geliebten Wagen – und zu einer schlimmen Fußverletzung.
Nun ist er zwischen Allee und Theresienwiese, Heilbronn-Ost und Hawaii auf der Suche nach (s)einem Platz im Leben und wohl auch nach sich selbst. Er trifft sich mit einem halbseidenen Jungunternehmer, bei dem ihm sein Vater einen Job verschaffen will, zockt mit alten Kumpels, hat eine Begegnung mit der Döner-Mafia und versucht, seine frühere Freundin Sina wiederzuerobern. Währenddessen heizt sich der Konflikt zwischen der nationalistischen Bürgerwehr HWA (»Heilbronn, wach auf«) und der Gang der Kankas (»Blutsbrüder«) auf und mündet in eine Straßenschlacht auf der Allee. Kemal erkennt, dass er zwischen allen Stühlen sitzt und sich den ganzen Zuschreibungen der anderen Menschen entziehen will. Es muss sich etwas ändern. Er muss sich ändern.
Heimatlosigkeit
Humorvoll und sprachlich virtuos schreibt Cihan Acar über den Kampf der Kulturen, über Heimatlosigkeit und Toleranz in unserer zerrissenen Gesellschaft. Das Gefühl, nirgends zu Hause zu sein – weder in der türkischen Community in Deutschland noch in der alten Heimat, die einst von der Großeltern- und Elterngeneration verlassen wurde, treibt den Protagonisten um. Dieses Gefühl kennt Cihan Acar aus eigenem Erleben. Es sei die wesentliche Triebkraft gewesen, den Roman zu Papier zu bringen, schilderte er anlässlich der Buchpremiere im März 2020 im Heilbronner Theater.
Erfahrungen, die er auch mit Regisseur Nurkan Erpulat teilt. Der aus Ankara stammende Theater-Regisseur lebt seit vielen Jahren in Deutschland und ist der erste türkische Regie-Absolvent der renommierten Ernst-Busch-Hochschule in Berlin. Nurkan Erpulat und Andreas Frane bleiben in ihrer Bühnenadaption des Stoffes dicht an der Romanvorlage von Cihan Acar, der den Probenprozess mit großer Spannung verfolgt.
Für die Rolle des Kemal konnte Doǧa Gürer gewonnen werden, ein junger, in Heidelberg geborener Schauspieler mit türkischen Wurzeln. Er stand bereits für Film und Fernsehen vor der Kamera, unter anderem für »Rheingold«, den jüngsten Film von Fatih Akin, der 2022 in die Kinos kommt.
Bühnenopulenz
Drei riesige Buchstaben HNX (für Heilbronx) auf der Drehscheibe, ein echter Schrottwagen und die Projektionen von Videodesigner Bahadir Hamdemir (Berliner Ensemble) verwandeln die Bühne des Großen Hauses in eine urbane Installation, die den sekundenschnellen Wechsel der unzähligen Heilbronner Handlungsorte ermöglicht, um die Umbehaustheit von Kemal sicht- und erlebbar zu machen. Atmosphäre zaubert die von Michael Haves geleitete Live-Band, die mit Musik aus allen Kulturkreisen die Inszenierung untermalt.
Cihan Acar, geboren 1986 in Heilbronn, studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg und arbeitete nebenbei als Journalist und Autor. Sein Debüt gab er mit seinem Sachbuch „111 Gründe, Galatasaray zu lieben“. Nach einem längeren Aufenthalt in Istanbul, wo er unter anderem für die dpa berichtete, kehrte er nach Heidelberg zurück, um sein Studium abzuschließen. Heute lebt der Autor zusammen mit seiner Familie in Heilbronn.
Nurkan Erpulat (Regie und Co-Autor der Bühnenfassung) wurde in Ankara geboren. Er absolvierte zunächst eine Schauspielausbildung in Izmir, bevor er in Berlin an der Hochschule Ernst Busch Regie studierte. Zu seinen frühen Projekten gehört »Jenseits – Bist Du schwul oder bist Du Türke?« am Berliner HAU. Zu seinen weiteren Regiearbeiten zählen u. a. eine Stückbearbeitung von Kafkas »Schloss« am Deutschen Theater Berlin und Maxim Gorkis »Kinder der Sonne« am Volkstheater Wien. Seine Arbeiten, teilweise im Jugendbereich, wurden zu Festivals und Gastspielen im In- und Ausland eingeladen und haben zahlreiche Preise gewonnen. So wurde unter anderem sein Stück »Clash« am Deutschen Theater zum Theatertreffen der Jugend in Berlin eingeladen. Das gemeinsam mit Jens Hillje entwickelte Stück »Verrücktes Blut« am Ballhaus Naunynstraße in Berlin wurde von Theater heute zum Stück des Jahres 2011 gewählt. Im selben Jahr zeichnete Theater heute Erpulat als Nachwuchsregisseur des Jahres aus. 2011-2013 war er als Hausregisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus tätig. Seit 2013 ist er Hausregisseur am Berliner Maxim Gorki Theater unter Intendantin Shermin Langhoff. Seit der Spielzeit 2019/2020 gehört er dem neu gegründeten Artistic Advisory Board an, das die Intendantin Shermin Langhoff bei der künstlerischen Leitung des Gorki berät.
»Hawaii« ist seine zweite Inszenierung am Theater Heilbronn. Bereits 2009 brachte er hier das Stück »Türkisch Gold« auf die Bühne, das mit großem Erfolg sieben Spielzeiten lang im Jungen Theater zu sehen war.
Premiere am 24. September, 19.30 Uhr, Großes Haus, Theater HeilbronnPremiere B am 25. September, 19.30 Uhr, Großes Haus, Theater Heilbronn
Hawaii (UA)
von Cihan AcarFür die Bühne bearbeitet von Nurkan Erpulat und Andreas Frane
Regie: Nurkan Erpulat
Ausstattung: Gitti Scherer
Video: Bahadir Hamdemir
Musik: Michael Haves
Es spielen:
Kemal Arslan: Doǧa GürerEmre, Rob, Abdullah: Lucas JansonHakan, Security, Sohn des Dönerladenbesitzers: Ali TurpOsman amca, Oskar, Kemals Vater, Besitzer des Dönerladens: Zlatko MaltarMicha, Rainer, Sinas Vater: Gabriel KemmetherFaruk, Tayfun: Burak HoffmannBraut, Jana, Julia, Kemals Mutter: Regina SpeisederSina, Moderatorin: Lisa SchwarzerMoritz, Marco, Harry, Tyson: Arlen KonitzBräutigam, Paul, Uwe: Lion LeukerHochzeitsgäste, Kankas, Neonazis: Ensemble
Musiker: Boros Celikovic, Ferenc Mehl, Christoph BecK/Eberhard Hahn
Theater Heilbronn
Berliner Platz 1
74072 Heilbronn
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