13 Uhr – Schichtwechsel: Mit lachenden Augen tritt Isolde Hache-Neutzner die Spätschicht in der Akutgeriatrie – einer Abteilung, in der betagte Patienten betreut werden – an. Der Arbeitstag beginnt immer gleich. Alle Pflegekräfte treffen sich am großen Gruppentisch zur Übergabe. Wie geht’s den einzelnen Patienten heute? Gab es besondere Vorkommnisse? Was steht heute bei jedem Patienten noch an? Untersuchungen, Physiotherapie? Wie zum Zeichen, dass sie bereit ist loszulegen, steckt sich Isolde Hache-Neutzner die Haare zum Dutt hoch.
Sie fasst in die Brusttasche des Kasaks. Immer dabei hat sie Stifte in drei verschiedene Farben. Konzentriert schreibt sie sich alles Wichtige auf. „Jede Farbe steht für etwas Anderes, so kann ich besser den Überblick behalten“, sagt sie.
Nach der kurzen Übergabe beginnt Isolde Hache-Neutzner ihren Patientenrundgang, wie sie ihn selbst nennt. Sie geht bei jedem Patienten vorbei, schaut wie es ihm geht, schenkt ein Glas Wasser nach. Sie wechselt mit jedem individuell ein paar Sätze, wählt einfache Worte und passt die Lautstärke ihrer Stimme dem Hörvermögen jedes einzelnen an. Bei Patienten, die schon länger da sind, knüpft sie oft an das Thema vom Vortag an: „Es ist schön, dass man sich hier auf dieser Station bewusst Zeit auch für Zwischenmenschliches nehmen kann. Manchmal spielen wir auch ein Spiel. Bei ‚Mensch ärgere dich nicht‘ verliere ich immer“, erklärt sie. „Auf anderen Stationen ist so viel gemeinsame Zeit natürlich nicht immer möglich. Im Umgang mit älteren Menschen gehört aber auch das dazu. Gerade weil es bei uns viele Patienten mit Demenz gibt. Ich finde es wichtig, dass sie sich nicht allein gelassen fühlen. Auch das ist bei uns Teil der Pflege“, betont sie.
In jungen Jahren hat Isolde Hache-Neutzner eine Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin gemacht. „So richtig mein Berufswunsch war das nie“, wirft sie ein. „Ich habe ihn wohl ganz gut gemacht, aber erfüllt hat er mich nicht.“ Dann kommen die Kinder, das Haus. Nach einigen Jahren Auszeit kehrt sie zurück in den Beruf, arbeitet an verschiedenen Stellen, zuletzt im Supermarkt an der Kasse. „Dann kam der Moment, an dem ich mich gefragt habe, was ich hier eigentlich mache, warum ich mich jeden Tag zur Arbeit quäle.“ Sie wagt einen großen Schritt und bewirbt sich um einen Ausbildungsplatz, zunächst als Krankenpflegehelferin, in der GRN-Klinik Sinsheim. „Meine Tochter, die selbst in der Pflege tätig ist, war durchaus skeptisch zu Beginn. Mit der Zeit konnte ich aber ihre Zweifel zerstreuen. Heute ist sie stolz auf mich“, freut sich Isolde Hache-Neutzner.
Schnell merkt sie, dass es ihr nicht reicht, dass in der Krankenpflegehilfeausbildung alle Themen nur „leicht angepikst“ wurden und sie ihren Wissensdurst nicht stillen konnte. Sie hatte Blut geleckt, wollte immer mehr wissen. Mit Hilfe ihrer Ausbildungskoordinatorin in der Klinik, die sich auch um die finanzielle Unterstützung während der dreijährigen Ausbildung gekümmert hat, beginnt sie kurze Zeit später die Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin – zwischen lauter 17- bis 25-Jährigen. Allen Kommentaren zum Trotz, ob sie sich das „in ihrem Alter noch geben muss“. „Wenn man in der Geriatrie arbeitet, erkennt man, das 50 doch kein Alter ist“, scherzt sie und lacht. „Die Ausbildung war nicht immer ein Waldspaziergang. In jungem Alter ist man sicherlich besser aufnahmefähig, kann sich Dinge leichter merken“, sagt Isolde Hache-Neutzner. Das habe sie aber nur noch mehr angespornt, sich richtig reinzuhängen.
Mit der Arbeit in der Abteilung für Akutgeriatrie geht ihr Traum in Erfüllung: „Ich habe direkt gemerkt: Hier bin ich richtig. Ich fühle mich in meinem Team sehr wohl, genieße auch noch ein bisschen Welpenschutz. Und die Patienten geben mir jeden Tag so viel zurück.“
Wenn sie bei allen Patienten war und die anstehenden Aufgaben erledigt hat, packt Isolde Hache-Neutzner ihr kleines schwarzes Notizbuch aus, in dem sie sich alles, was sie heute wieder Neues gelernt hat, notiert: „Damit´s im Kopf bleibt“, erklärt sie, bevor sie sich wieder in ihre Akten vertieft und sagt: „Es gibt noch viel zu lernen.“
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