Alt werden in West und Ost: Sozialstationen für eine ambulante Versorgung älterer Menschen

Seit den 1970er Jahren rückten die Bedürfnisse von älteren Menschen immer mehr in den Fokus. Familiäre und kirchliche Versorgungsstrukuren reichten nicht mehr aus. Sozialstationen wurden gergründet, um Senior*innen weiter und besser zuhause pflegen zu können. Auch das Unionhilfswerk eröffnete in West-Berlin mehrere Sozialstationen. Durch den Mauerfall bekam dieser neue Angebotsbereich noch mehr Zuwachs.

Alt, alleine und ohne Hilfe zu Hause

West-Berlin in den 1970er Jahren: Die günstigen Berliner Altbauwohnungen, in denen viele Rentner*innen lebten, waren noch nicht saniert und verfügten häufig weder über eigene Toiletten noch über ein Badezimmer. Für gesundheitlich eingeschränkte Senior*innen war dadurch ein selbstständiges Leben kaum möglich. Erschwerend kam hinzu, dass es für sie wenig Angebote gab, in ihren eigenen vier Wänden gepflegt und unterstützt zu werden. Christliche und familiäre Hilfen brachen zunehmend weg: Häusliche Krankenpflege wurde damals von Gemeindeschwestern geleistet, doch die kirchlichen Schwesternschaften fanden immer weniger Nachwuchs. Außerdem war es für Angehörige zunehmend schwierig, die Pflege zu übernehmen. Immer mehr Frauen gingen einer Berufstätigkeit nach und die steigende Mobilität brachte es mit sich, dass Familienmitglieder oft nicht am selben Ort lebten. Alte Menschen, die allein lebten, wurden daher schon bei kleineren gesundheitlichen Problemen ins Krankenhaus eingeliefert.

Endlich Hilfe: Sozialstationen in West-Berlin

Die vielen Krankenhausbehandlungen stellten nicht nur eine Belastung für die Senior*innen dar, sondern verursachten auch hohe Kosten. Die Politik wurde auf das Problem aufmerksam. Die Finanzierung und Organisation der ambulanten Pflege änderte sich grundlegend. 1970 wurde in Hessen bundesweit die erste Sozialstation gegründet. 1974 erklärte auch der Berliner Senat in seinem Seniorenplan den Ausbau ambulanter Dienste für Senior*innen zu einem wichtigen Ziel. 1982 nahmen schließlich die ersten Sozialstationen in West-Berlin ihre Arbeit auf. Diese bildeten einen zentralen Anlaufpunkt, von dem aus den Senior*innen häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe, fahrbare Mittagstische und persönliche Beratung angeboten wurden. Neben dem angestellten Fachpersonal wie Krankenschwestern, Altenpfleger*innen und Sozialarbeiter*innen konnten über die Sozialstationen auch freiwillige Helfer*innen in die Versorgung alter und kranker Menschen eingebunden werden. Auch das Unionhilfswerk wirkte am Aufbau der neuen ambulanten Strukturen mit: Im November 1983 eröffnete es in Neukölln seine erste und Berlins 50. Sozialstation. Allein im folgenden Jahr entstanden zwei weitere Sozialstationen des Trägers, der somit einen neuen Arbeitsschwerpunkt gefunden hatte. Ulrike Hinrichs, heute eine der Geschäftsführerinnen im Unionhilfswerk, kam 1989 als Sozialarbeiterin zur Sozialstation Frohnau und erinnert sich an die Arbeit vor Ort:

“Es gab eine aufrichtige und sehr gut gemeinte menschliche Haltung, die dennoch weit entfernt von der heutigen Fokussierung auf die Bedürfnisse und Versorgungszeiten der Patienten war. Den damaligen Spätdienst würde man heute als solchen nicht mehr bezeichnen. Der endete tatsächlich um 17 Uhr, länger wollten die Mitarbeiter nicht arbeiten. Heutzutage undenkbar. Es gab keine Computer im Pflegedienst, die Abrechnung erfolgte in Papierform mit Durchschlagpapier: Eine Blaupause für die Krankenkasse, vielleicht noch für das Sozialamt, eine für den Patienten und die letzte – kaum noch leserliche – verblieb bei uns. “

Aufbau von Sozialstationen in Ost-Berlin

Schon bald ergaben sich weitere neue Herausforderungen: Nach dem Mauerfall war auch in Ost-Berlin die Versorgung älterer Menschen sicherzustellen. Die Angebote für Senior*innen mussten ausgebaut und organisatorisch in die West-Berliner Strukturen eingegliedert werden. Die auf die arbeitende Bevölkerung fokussierte DDR-Politik hatte den Bedürfnissen von Senior*innen wenig Beachtung geschenkt. Altersarmut aufgrund der niedrigen Renten war ein großes Problem. Die Wohnungen waren in einem sehr schlechten baulichen Zustand und aufgrund der vielen Außentoiletten und Kohleöfen nicht altersgerecht. Eine funktionsfähige ambulante Betreuung für Senior*innen gab es hauptsächlich über die Volkssolidarität – damals noch eine Massenorganisation der DDR, die sich in den 80er Jahren vor allem um die Fürsorge älterer Menschen kümmerte. Außerhalb dieser Organisation bekamen Senior*innen Unterstützung in Form von Haushaltshilfe oder privat organisiert. Bereits im November 1990 eröffnete das Unionhilfswerk in Friedrichshain die erste Sozialstation im Ostteil der Stadt; 1991 folgten fünf weitere. Die Einrichtungen waren mehrheitlich ehemalige Bezirksschwesternstationen der früheren DDR-Gesundheitsdienste. Die Sozialstationen wurden an die Erfordernisse des Sozialstationen-Gesetzes angepasst und daraufhin gut von den Ost-Berliner*innen angenommen.

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